/Wasan, inventory.adobe.com
Berlin – Um die drohende „Scenario des Mangels“ in der ambulanten Versorgung abzumildern, müsse man mehr Ärztinnen und Ärzte zu einer Entscheidung für diesen Sektor bewegen. Dies hat der Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg, Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege, heute im Rahmen einer Fachtagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) betont.
Medizinstudiumabsolventen würden zunehmend von der stationären Versorgung „absorbiert“, diese Entwicklung habe sich in den vergangenen Jahren weiter beschleunigt, so Schreyögg.
Einen wesentlichen Grund stellt nach seiner Einschätzung der Development – wie Schreyögg betonte geschlechterunabhängig – zu flexiblen Arbeitszeitmodellen und Teilzeit dar. Benötigt würden daher mehr und attraktivere Optionen für Anstellungsverhältnisse im ambulanten Bereich, so seine Schlussfolgerung.
Solche Möglichkeiten böten insbesondere Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in vertragsärztlicher Trägerschaft oder auch große Gemeinschaftspraxen. Allerdings sei derzeit das unternehmerische Risiko für große ambulante Versorgungseinheiten beziehungsweise für den verantwortlichen selbstständigen Vertragsarzt nicht ausreichend in der Vergütungssystematik reflektiert.
Ursächlich seien unter anderem die geringere Produktivität von angestellten Ärzten sowie eine insbesondere in fachgruppenübergreifenden Einrichtungen schlechte Realisierbarkeit von Skaleneffekten. Deshalb brauche es eine Weiterentwicklung der vertragsärztlichen Vergütung, so Schreyögg. Diesbezüglich müssten auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) „mutiger“ werden.
Zusätzlich seien auch Anpassungen des ordnungspolitischen Rahmens notwendig. Schreyögg verwies etwa auf Maßnahmen zur Stärkung der Ambulantisierung und der Koordination zwischen der stationären und ambulanten Versorgung. Zudem müsse die Zahl der Arztkontakte gesenkt werden – beispielsweise durch eine Incentivierung der Teilnahme an einer hausarztzentrierten Versorgung.
Zuvor hatte Mandy Schulz vom Zi, das dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert, neueste Projektionsberechnungen zum Ärztemangel vorgestellt. Die bevorstehende „enorme Welle“ an Renteneintritten bei Vertragsärzten wird demnach einen hohen Nachbesetzungsbedarf auslösen – man werde „nicht in der Lage“ sein, diesem überall nachzukommen. In den kommenden Jahren bleiben laut den Zi-Analysen Tausende Arztsitze unbesetzt.
Auch Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, betonte, man müsse „durch eine Section“ gehen, in der viele Arztsitze nicht nachbesetzt werden können. Insbesondere strukturschwache Regionen würden schon jetzt ein „Brennglas“ für aktuelle und kommende Versorgungsprobleme darstellen. Politik aber auch Kostenträger müssten zeitnahe Antworten finden und entsprechende Entscheidungen treffen.
Ein Maßnahmenbündel sollte unter anderem mehr Steuerung und Koordination, mehr Teamarbeit und Delegation, Strukturpauschalen für die hausärztliche Versorgung, eine funktionierende Digitalisierung sowie eine echte „Ertüchtigung“ der vorhandenen Strukturen in Richtung mehr Ambulantisierung umfassen, so Beier.
Die alarmierenden Zahlen zu den Auswirkungen des demografischen Wandels und den „großen Lücken“ in der vertragsärztlichen Versorgung seien schon lange bekannt, sagte Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (SpiFa).
Nur passiert sei bislang nichts. Reagieren könne man beispielsweise mit einer finanziellen Förderung von Niederlassungen sowie einem Ausbau von Telemedizin und Videosprechstunden. Bezüglich einer stärkeren Patientensteuerung sei man gegenüber allen Ansätzen „völlig offen“ – dies gelte auch für die hausarztzentrierte Versorgung.
Klar sei auch, und hier müsse sich die Politik ehrlich machen, dass eine weitere Budgetierung bei den Vertragsärzten in Zukunft „weniger Medizin“ bedeute, so Heinrich. © aha/aerzteblatt.de